Hirkhand Express

Nun bin ich also wieder im Jeypur-Land – und wie immer läuft der mächtig gewaltige Plan ein bisschen anders ab als gedacht. Das erste Hindernis, von dem ich noch vor Abflug erfahren hatte, waren Unruhen in der Küstenstadt Vishakapatnam. Aufgrund der damit verbundenen Ausgangssperre war angeraten, die Auffahrt in die Ostghats diesmal von Norden aus in Angriff zu nehmen.

 

Das hieß, ich landete in Bhubaneswar, der Hauptstadt Orissas und fuhr dann mit dem Hirkhand-Express 15 Stunden hinauf bis nach Koraput. Während der Taxifahrt vom Flughafen zum Bahnhof bekam ich wieder einmal eine Antwort auf die Frage, warum indische Taxifahrer auf freier Straße plötzlich anhalten: entweder sie verrichten ein Gebet oder ein Geschäft. Mein Fahrer war wohl nicht ganz so fromm.

 

Die sechsstündige Wartezeit auf dem Bahnhof verbrachte ich mit dem bekannten Einefrageführtzurnächstenspiel. Dabei wollte ich nur meine kleine Reisetasche in der Gepäckaufbewahrung abgeben. Diese sollte sich laut Aussage des Stationsmanagers „just there“ befinden: „over the bridge“. Also ging ich über die Brücke, doch da ging es nur auf die anderen Gleise. Also hieß „over the bridge“ diesmal wohl unter der Brücke – und dort war dann tatsächlich einer kleiner Käfig mit Gepäck und Aufpassern darin. Mehr Aufpasser als Gepäck. Nun musste ich nur noch meine Tasche abschließen, denn offene Taschen werden nicht genommen. Leider passte mein Türschloß nicht durch die Löcher am Reißverschluss, also hieß es nun: Schloß kaufen. Wo es eines gibt? - just there, over the bridge. Da waren aber doch nur Buchläden!? So dauerte es eine Weile, bis ich zu den Lektüreverkäufern hindurch gedrungen war, um sie nach einem Schloß zu fragen. Dann wurde schnell unter der Theke gekramt und die Bückware hervorgezaubert: Made in China, die indischen Gepäckaufpasser haben es akzeptiert.

 

Der Zug soll 7:35 pm abfahren. Während ich warte, krame ich das Billet hervor: 17:35 Uhr. Jetzt ist es 17:05. Also schnell die Tasche wieder abgeholt, die ich auch sofort bekommen habe, nachdem noch einmal alle vorhandenen Gepäckstücke zweimal durchgezählt worden sind. Dann zum Bahnsteig, festgestellt, dass mein Zug noch nicht einmal angezeigt wird. Ich frage zwei nette Menschen und bekomme zwei nette Auskünfte, die sich natürlich nicht miteinander vereinbaren lassen: „Train comes Plattform one, mostly. Mostly one, but you know ...“. Schließlich konnte ich feststellen, dass der Zug doch erst um 7:35 pm abfuhr, die Angabe auf der Fahrkarte also eine Eins zu viel enthielt: 1+7=17. So hatte ich also noch 2 Stunden Zeit, meine Tasche hin und her zu tragen.

Die Jugendkonferenz und Phailin

Das erste Großereignis meiner Reise war die internationale Jugendkonferenz der Jeypore-Kirche in Sunabeda, an der Vetreter des Lutherischen Weltbundes, des National Council of Churches, Nagpur und anderer indischer Kirchen teilgenommen haben. Außerdem rund 30 Jugendliche aus Deutschland. Sehr intensiv wurde in workshops zu den Themenfelder Umweltschutz und globale Gerechtigkeit gearbeitet; angereichert war das ganze durch Konzerte indischer Bands aus Bombay und Mizoram.

 

Noch während der Konferenz hat sich Ende der zweiten Oktoberwoche über dem Golf von Bengalen ein Zyklon gebildet, der zunächst 1200 km von der indischen Ostküste entfernt war, dann aber binnen dreier Tage die Bundesstaaten Andhra Pradesh und Orissa erreicht hat. Da "Phailin" mehr als 96 Stunden zuvor vorhergesagt worden ist, konnten sich die betroffenen Küstenregionen darauf vorbereiten. Für alle öffentlich Angestellten wurde eine Urlaubssperre verhängt, in den Städten entlang der Küste kam es teilweise zu Abwanderungsbewegungen. Trotz der Vorbereitungszeit sind in der Region viele Wohnhäuser, Fischerdörfer und Kleinstädte zu Schaden gekommen.

 

Auf der Konferenz schlug die Stimmung deutlich um, als klar wurde, dass das Unwetter auch die Wetterlage in Sunabeda beeinflussen wird. An mehreren Orten fanden Gebetsandachten vor dem Eintreffen des Zyklons statt. Letztlich wurde das Treffen um einen Tag gekürzt – und schon der Abschlussabend musste wegen des einsetzenden Starkregens von Campus in die Kirche hinein verlegt werden. Der Raum darinnen reichte auch nur deshalb aus, weil viele Jugendgruppen noch am vormittag die Heimreise angetreten hatten. Später lag der öffentliche Verkehr ohnehin lahm und dann dauerte es natürlich ein paar Tage bis sich das Leben in Orissa wieder normalisiert hat.

 

 

 

Wohnheim des Theologischen Seminars in Gopalpur on Sea nach dem Zyklon
Wohnheim des Theologischen Seminars in Gopalpur on Sea nach dem Zyklon

Das Auge des Zyklons war über Gopalpur und Berhampur hinweggezogen, so dass hier auch das Theologische Seminar und das christliche Krankenhaus betroffen waren. In dieser Region ist die gesamte Stromversorgung mittelfristig unterbrochen, Strommasten stehen quer, tausende Bäume wurden umgemäht. Viele der instabilen Behausungen in den Armenvierteln der Städte sind vollkommen zusammen gebrochen. Während meines Aufenthaltes zogen weitere Regenereignisse über das Land hinweg, dabei sollte die Trockenzeit schon längst begonnen haben.